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Neue Kraftwerke braucht das Land
Spätestens ab 2022 müssen in großem Umfang neue, flexible und schnell regelbare Gaskraftwerke gebaut werden, um die fluktuierende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ausgleichen zu können und eine sichere Stromversorgung zu garantieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie zum Kapazitätsmarkt, die vom Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (BET) GmbH im Auftrag des Bundesverbands Neuer Energieanbieter (bne) erarbeitet wurde. Die Autoren haben die möglichen Alternativen untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass Gasturbinen die kostengünstigste Alternative darstellen. Das Problem aber auch hier: Aufgrund der wenigen Volllaststunden sind Neubauten nicht wirtschaftlich realisierbar.

 
Nach Meinung von Dominic Nailis vom BET besteht “akuter Handlungsbedarf”. Da die in den Szenarien zugebauten Kraftwerkskapazitäten aus volkswirtschaftlichen Sicherheitsaspekten benötigt würden, aber aus Investorensicht nicht realisierbar seien, werde ein zusätzlicher Anreizmechanismus für den Neubau notwendiger thermischer Kraftwerkskapazität benötigt. Er setzt den Diskussionsbedarf auf zwei Jahre, die Etablierung eines Kapazitätsmarkts auf weitere zwei Jahre an. Dann könne eine neutrale Stelle unter fachlicher Zuarbeit der Übertragungsnetzbetreiber die notwendige Kapazität in fünf Jahren (Zeitraum für die Errichtung eines neuen Gaskraftwerks) ermitteln und den Mangel ausschreiben. Im Rahmen einer Auktion werde dann der Investor mit dem geringsten Zusatzbedarf den Zuschlag erhalten. Nailis nennt dies “einen Fixkostenzuschuss, den die Allgemeinheit an den Investor leistet und der über die Netzentgelte refinanziert wird”. Ein solches technologieoffenes System könnte auch Maßnahmen der Nachfragesteuerung, Speichertechnologien oder auch den Zubau von gasbetriebenen Mikro-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in Wohnhäusern umfassen, die als virtuelle Kraftwerke gesteuert werden.

 
Das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Irsching 5 ist mit einem Wirkungsgrad von knapp 60 Prozent ein gutes Beispiels für moderne, hocheffizente, flexible und schnell regelbare Gaskraftwerke, wie sie vom Bundesverband Neuer Energieanbieter gefordert werden.


Bildquelle: E.ON Kraftwerke AG

Über die Kosten eines solchen Kapazitätsmarktes mag heute noch niemand Schätzungen abgeben, geht die Diskussion um die Ausgestaltung doch jetzt erst richtig los. Der Kapazitätsmarkt sei wie eine Versicherungsprämie zu sehen, so Nailis, er sei “keine Maßnahme zur Kostensenkung”. Auch Hans-Martin Huber-Ditzel, Vorsitzender des bne-Vorstands, nennt keine Zahlen, ist sich aber sicher: “Wenig im Vergleich zu den Kosten für erneuerbare Energien.”

BET und bne setzen auf einen “selektiven Kapazitätsmarkt”, der nur Neubauten einbezieht. Sie wollen so denkbare Windfall-Profits vermeiden. Durch die deutlich geringere ausgeschriebene Leistung wäre das System auch mit geringeren Risiken verbunden.

In diesem Punkt dürfte der Streit mit den “etablierten” Energieversorgern bereits programmiert sein. Erst vor wenigen Tagen zeigte die Euroforum-Konferenz “Neue Chancen für den konventionellen Kraftwerkspark”, dass der geplante massive Ausbau erneuerbarer Energien die Wirtschaftlichkeit konventioneller Kraftwerke in Frage stellt. Nach Meinung von Werner Götz, Technischer Vorstand der EnBW Kraftwerke AG, erhöhen Neubauprojekte den wirtschaftlichen Druck auf den Kraftwerksbestand weiter. Marktanreizsysteme müssten daher vor allem die bestehende Kraftwerkskapazität stützen, da hier zudem die höchste Kosteneffizienz erreichbar sei. Kapazitätsanreize müssten langfristig gesetzt und wettbewerbs- und technologieneutral ausgestaltet werden. Alle Erzeugungs- und Lastarten müssten berücksichtigt werden.
Kopf des Monats
Dr. Michael Sterner

“Vorher haben wir Gas in Strom umgewandelt. Jetzt denken wir auch in die andere Richtung und wandeln Strom in synthetisches Erdgas um.”

In einem Artikel der Financial Times Deutschland äußert sich Michael Sterner zur innovativen Technologie der Methanisierung von Wind- und Sonnenstrom. Dabei wird der erneuerbar erzeugte Strom durch Elektrolyse und anschließende Methanisierung in synthetisches Erdgas umgewandelt. Das kann anschließend problemlos in der vorhandenen Erdgas-Infrastruktur gespeichert und transportiert werden. Im niedersächsischen Werlte wird derzeit im Auftrag von Audi eine 6,3 Megawatt-Methanisierungsanlage gebaut. Das Produkt soll den Namen E-Gas tragen und in erdgasbetriebenen Fahrzeugen für die kohlendioxidneutrale Mobilität eingesetzt werden.

Dr. Michael Sterner leitet die Gruppe Energiewirtschaft und Systemanalyse am Kasseler Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiewirtschaft. Nach dem Studium (Mechatronik/Erneuerbare Energien) war Sterner an der Entwicklung der Speichertechnologie “Power-to-Gas” beteiligt. Heute erstellt er u.a. Szenarien zur Energiewende für das Umweltministerium.